Sie erwachen in einem verlassenen Krankenhaus. Das ist nie gut. Sie gehen los, hinein ins Unbekannte. Plötzlich hören Sie Stimmen, ein Kichern aus der Ecke des Raums. Es ist nahe – ein wenig zu nahe für jemanden, der nur über ein Smartphone, Leuchtstab und eine Fackel verfügt, um sich zu verteidigen. Zu Ihrer Linken fällt ein Stapel Kisten um und Sie laufen blindlings davon, irgendwohin, den überall anders ist besser als hier. Was Horrorkonzepte anbelangt, ist dieses solide, wenn auch ein wenig zu sehr auf der sicheren Seite.
Zufrieden, dass Sie der unbekannten Bedrohung entkommen sind, drehen Sie sich um. Die Geräusche beginnen von Neuem. Diesmal laufen Sie nicht weg. Sie warten, um zu sehen, was passiert. Und was passiert? Nichts. Nichts greift Sie an, nichts verfolgt Sie. Es ist alles nur Blendwerk. Das ist die erste von drei Stunden im Indie-Horrorspiel Daylight.
Sie bekommen so eine Ahnung, dass das Spiel wohl nicht so unfair sein würde, ein Monster auf Sie zu hetzen, ohne Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen, weshalb es nur drohen kann. Oh, sehen Sie, eine junge Dame brennt. Oh, sehen Sie, jemand kommt auf Sie zu. Oh, sehen Sie, er löst sich wenige Meter vor Ihrem Gesicht spurlos aus. Das sind keine Taktiken, um die Spieler zu erschrecken, das sind F.E.A.R. Taktiken. Wenn Sie erkennen, dass Sie icht getötet werden können, verkommt alles zu einer zahnlosen Drohung.
Doch Daylight enthüllt bald einen Bösewicht, der alles andere als zahnlos ist. Der geisterhafte Schatten, der Sie durch diese endlosen Korridore verfolgt, kann Sie töten, wenn er (es ist eigentlich eine Dame) Sie einholt und Ihre Sicht mit mysteriösen Runenmarkierungen zum Verschwimmen bringt, bis Sie zu Boden fallen und schreien. Sie können sich jedoch wehren: Wenn Sie eine Fackel haben, werden Sie die Dame automatisch zu Asche verbrennen und sie vorübergehend zum Verschwinden bringen, als wäre sie eine Amishversion des T-1000, und wenn nicht, sind Sie tot. Doch sie wird bald mehr zu einem Ärgernis als zu einer Amnesie-Nemesis, denn sie kündigt ihre Anwesenheit an, indem sie in Ihr Ohr kreischt und Ihr Mobiltelefon statisch Rauschen lässt.
Sie können in Daylight nur drei Gegenstände verwenden: ein Mobiltelefon, eine Leuchtfackel und einen grünen Leuchtstab, wie man ihn von Raves her kennt. Anstatt den Schrecke und die Spannung zu erhöhen, indem man Ihnen durch ein Zuwenig an Ausrüstung ein Handicap aufgebürdet, werden lediglich Ihre Optionen beschränkt. Lassen Sie uns mit dem Mobiltelefon beginnen. Es überwacht Ihre Umgebung in Echtzeit und zeigt die labyrinthartigen Wendungen und Sackgassen des Gebäudes in Form von blauen Linien an. Versperrte Türen sind Vorhängeschlösser, Gegenstände werden mit X markiert und Sie selbst sind ein grüner Pfeil. Da Ihnen das Telefon mehr Informationen vermittelt als die Umgebung selbst, werden Sie zumeist auf den Bildschirm des Smartphones blicken und die Umgebung nur ganz nebenbei wahrnehmen. Aber es ist unmöglich, ohne das Telefon auszukommen, denn Sie würden sich sofort verirren. Also was ist die Lösung? Nun, man sollte vielleicht nicht solche Levels gestalten, die einander allesamt ähnlich sehen so vage sind, dass man sich kaum darin zurechtfinden kann.
Wenn Sie einen der Leuchtstäbe (Knicklicht) knicken, wird Ihre unmittelbare Umgebung sofort in ein schwaches grünes Licht getaucht, das Schachteln mit Gegenständen hervorhebt, aber da diese Schachteln, Truhen und Schränke zumeist weitere Leuchtstäbe enthalten, erscheint das Ganze irgendwie sinnlos. Fackeln sind Ihre wichtigste Waffe, aber ihr Gebrauch setzt keinerlei Fähigkeiten voraus. Sie müssen nur eine anzünden/einschalten und schon können Sie völlig sorgenfrei herumspazieren.
Also was bleibt übrig? Das Sammeln von ‘remnants’ (Überresten) — Notizen und gruselige Schwarzweiß-Photos, die von gequälten Wärtern und ähnlichen Leuten zurückgelassen wurden. Nach und nach beginnen Sie, die düstere Vergangenheit der Institution zu enthüllen, sofern es Ihnen nichts ausmacht, sehr viel zu lesen. Diese Überreste können Sie in sehr regelmäßigen Abständen finden, weshalb sie wie typische Videospiel-Collectibles wirken. Man fühlt sich unwillkürlich an diese Family Guy Parodie erinnert: “Ooh, piece of candy! Ooh, piece of candy!”
Daylights Struktur wird schon bald offenbar: Sie betreten eine schwach beleuchtete Umgebung (Gefängnis, Klassenzimmer, Krankenhaus, Kanalisation), finden sechs Remnants, sammeln einen Schlüssel (eine Bibel, einen Teddybären, eine Schere) ein und verlassen den Bereich, wobei Sie unterwegs nervenden Sirenen ausweichen. Es ist wie Slender, nur dass das Monster überhaupt nicht bemerkenswert ist (ich glaube, sie trägt eine Mütze oder etwas Ähnliches). In dem Moment, in dem ich diese Struktur durchschaute, war die ganze Spannung dahin. Ich hielt einfach nur die „Laufen“ taste gedrückt und suchte die Böden nach leuchtenden Objekten ab wie ein verrückter Strandgutsammler.
Daylight prahlt mit nach dem Zufallsprinzip generierten Levels. Die Sache ist jedoch die, dass sich die Levels nur ändern, wenn Sie ein neues Spiel starten; wenn Sie sterben sollten, spielen Sie hingegen genau denselben Level noch einmal Doch wird man wirklich noch einmal spielen, wenn das erste Durchspielen keinen Spaß machte? Theoretisch sind keine zwei Spiele gleich, doch in der Praxis ist jede Spielerfahrung genau dieselbe, nur in einem etwas anderen Layout. Horror verlangt das richtige Pacing. Horror erfordert klug geplante Setups und genau kalkulierte Höhepunkte des Schreckens. Daylight ist jedoch nicht viel mehr als ein Sammelmarathon im Dunkeln. Sie sind eine Ratte in einem Labyrinth und sammeln kleine Käsestücke.
Aber wenigstens sieht das Spiel genau wie ein gutes Horrorspiel aus, wenn schon das Pacing nicht stimmt. Diese in der Unreal Engine 4 kreierten Umgebungen können wirklich beunruhigen, so wie sie da unter einem verschmutzten digitalen Filter langsam verrosten und verfallen. Was man damit und darin anstellt, lässt einen hingegen ziemlich kalt.
PRO: Die Atmosphäre ist zunächst wirklich beängstigend.
CONTRA: Die Taktik, mit der versucht wird, Schrecken zu erzeugen, geht nicht auf; ermüdende Jagd nach Gegenständen; ziemlich kurz.
Abschließende Bewertung
Spiel: 4,0
Spaßfaktor: 3,75
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